17. Oktober 2023

Marketing und PR: Game Changer KI! Aber wie? (Teil 2)​

Das Team von pr://ip bei der DMEXCO 2023

Gut drei Wochen waren nun Zeit, die DMEXCO mit ihrem Feuerwerk an Trends und Technologien sacken zu lassen. Zeit, die ich genutzt habe, das üppige Video-on-demand-Angebot nach Wissenswertem, Unterhaltsamem und Verwertbarem zu durchstöbern. Ähnlich wie schon bei der Zukunft Personal ist es auch hier nicht ganz einfach, zwischen zahlreichen vertriebsorientierten Vorträgen und Präsentationen die Beiträge zu finden, die wirklich für künftige Marketing-Strategien oder -maßnahmen taugen. Auf den großen Bühnen wird es da leider schnell dünn. Hilfreicher waren da schon die Masterclasses, sofern diejenigen, die sich hier in aller Regel eingekauft haben, denn nun wirklich Insights und praktische Erfahrungen, etwa aus Fallbeispielen, teilen wollten.

KI und Retail Media drängen Green Marketing in den Hintergrund

Grundsätzlich bleibt für mich nach den zwei Tagen vor Ort und der Aufarbeitung der letzten Wochen vor allem festzuhalten, dass zwei wesentliche Themen die kommenden Monate prägen werden: KI und Retail Media. Die zwar im Vorfeld immer wieder propagierte Nachhaltigkeit und das “Green Marketing” waren kaum der Rede wert und sollten – so jedenfalls meine Meinung – vor dem massenhaften Einsatz von KI-Technologien durchaus in einem anderen Licht betrachtet werden. Dazu später mehr.

Apropos KI: Generative KI und KI-basierte Datenanalyse zogen sich wie ein roter Faden durch das Programm – egal auf welcher Bühne. Wirklich erhellend war es für mich, neue Technologien an den Ständen vorgeführt zu bekommen und dabei auch mal einen Blick unter die Motorhaube werfen zu können. Wie etwa bei alugha, die sich auf die automatisierte, lippensynchrone Übersetzung von Videos spezialisiert haben. Das ist beeindruckend, wirft aber eine Reihe von noch unbeantworteten Fragen – vor allem nach dem Urheberrecht und Persönlichkeitsschutz – auf.

KI beschleunigt den Zwang zur Performance

Die Fülle an Lösungen und Ansätzen ist schlicht erschlagend und das war auch das Feedback der Teilnehmer:innen, die in durchaus verantwortungsvoller Position derzeit nicht nur mit der Organisation und Budgetierung von Werbe- und Marketingmaßnahmen betraut sind, sondern oftmals zusätzlich als Anlaufstelle für alle unternehmensinternen Fragen rund um KI fungieren. Die Überforderung der Beteiligten ist mehr als spürbar. Umso wichtiger sind eigentlich Veranstaltungen wie die DMEXCO, um entsprechende Orientierung zu geben, einzuordnen und eben auch kritisch zu begleiten. Zumindest Letzteres passiert zu selten. Es fehlt hier – bis auf ganz wenige Ausnahmen – der konstruktive, aber eben auch kritisch-distanzierte Blick auf die aktuellen Entwicklungen.

Meiner Beobachtung nach werden derzeit viele KI-Anwendungen*, vor allem im Bereich generativer KI, ausschließlich aus Performancegründen eingesetzt: höher, schneller, weiter. Ob in der optimierten und agileren Mediaplanung, der Erstellung jeglicher Arten von Inhalten für PR, Marketing oder Werbung – Texte, Bilder oder Videos, der Optimierung von Conversions oder Reichweiten – es geht hier einzig und allein um Performance. Ich teile die Sichtweise von “Mr. Media” Thomas Koch, dass wir unendlich viel Zeit und Geld in den Lower Funnel investieren. Die Optimierung des letzten Clicks steht ganz oben auf der Prioritätenliste. Mit (durchaus vereinfachten) Dashboards, der komplizierten Verarbeitung von Datenpunkten durch KI-Anwendungen im Analytics-Bereich und am liebsten “Realtime-Reportings”.

*Zu den unterschiedlichen KI-Anwendungen haben wir eine grundsätzliche Übersicht erstellt.

 

Wie der Hype um KI Ressourcen verschwendet

Die “brave new world” generativer KI wird uns allerorten vor Augen geführt. Synthetische Stimmen, die uns irgendwie bekannt vorkommen, moderieren ganze Radioprogramme oder Werbespots. Virtuelle Influencer:innen – Kann man das so noch sagen? – wollen uns zum Kauf, Click oder Like verführen. Speech-to-Text, Script-to-Video, in Bruchteilen von Sekunden generierte, SEO-optimierte Texte sind nicht nur effizient – all das wirft auch die Frage danach auf, wer das eigentlich noch alles konsumieren, lesen, hören oder sehen soll!

Schon habe ich vor meinem inneren Auge eine virtuelle Assistenz, die mir dabei hilft, diese Flut an Inhalten überhaupt noch zu bewältigen. Was dabei aber eben auch übersehen wird: All diese KI-Anwendungen verbrauchen enorm viel Energie und Rechnerkapazitäten. Serverparks von gigantischem Ausmaß stehen meines Erachtens nachhaltigem Marketing massiv im Weg, solange wir nicht beginnen, das Ganze wirklich gezielt einzusetzen. Anders formuliert: Der Hype um generative KI verschluckt aktuell enorme Ressourcen. Zeit, Energie, Geld, Personal. Die großen Anbieter subventionieren die Verluste, die sie bei ihren KI-Anwendungen machen (Microsoft etwa verliert Monat für Monat bis zu 80 Dollar pro Github-Heavy-User) inzwischen mit den Einnahmen ihrer etablierten Dienste. Wie machen das wohl künftig die ganzen Startups, wenn die Investorengelder aufgebraucht sind? Was bedeutet das für die künftige Preispolitik? Aber egal. Hype ist Hype und jetzt heißt es erstmal: experimentieren auf Teufel komm raus. Dabei verlieren wir uns nur leider in den Details und gleichzeitig das große Ganze aus dem Blick.

Wie der Markenwert über den Marktwert entscheidet

Viel zu wenig wurde und wird über den “Upper Funnel” gesprochen – über Markenaufbau, Vertrauensbildung und den Erhalt bzw. Aufbau des Markenwerts. Das war jedenfalls mein Eindruck. Und das ist vor allem deshalb schade, weil der zweite große Mainstream der DMEXCO eigentlich noch einmal unterstreicht, wie wichtig das für Marken und Hersteller (auch aus dem B2B-Bereich) gerade ist bzw. erst noch wird. Retail Media steht nach Einschätzung vieler Experten im Bereich Handel, Marketing und Vertrieb erst noch am Anfang. Ein Blick in die Ausstellerliste macht allerdings deutlich, welche neuen Player hier schon jetzt massiv ihren Teil vom Werbekuchen sichern: Otto und Kaufland waren mit ihren E-Commerce Marktplätzen sicher keine große Überraschung. Lidl bzw. Schwarz Media, die Rewe Group, Obi First Media Group und die Douglas Marketing Solutions für die klassischen DMEXCO-Besucher:innen dann schon eher.

Hier bewegt sich sehr viel. Kurz zusammengefasst werden diese Händler – egal ob digital oder stationär – die Werbe- und Vermarktungsmöglichkeiten am PoS deutlich ausbauen. Digital-out-of-Home (DooH), Stelen, Digital City Light Poster (DCLP), Digital Signage im Umfeld des oder direkt am Point-of-Sale bzw. Point-of-Consumption sowie natürlich auf den E-Commerce-Marktplätzen. Was aus Sicht der Händler als “Möglichkeit” beschrieben wird, kann aus Sicht derjenigen, die hierfür (jetzt schon oder in Zukunft) zur Kasse gebeten werden, schnell in Gängelei ausarten. Und genau hier schließt sich der Kreis. Letztlich landen wir beim Grundprinzip der freien Marktwirtschaft: dem Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Schränken Händler die Wahrnehmung des gesamten Angebots über die zunehmende Vermarktung ein, sind die Hersteller aufgefordert, die Nachfrage nach ihren Produkten anzukurbeln. Aber nicht zwangsläufig über Retail Media.

Wie sich Marken und Hersteller von Retail Media emanzipieren können

Marken und Hersteller, die sich von der sich verstärkenden Abhängigkeit der Produktplatzierung und -vermarktung durch die Händler ein Stück weit emanzipieren wollen, sind gut beraten sich nicht nur um ihren Markt- und Markenwert zu kümmern, ohne dafür bei den Händlern immer wieder Geld nachwerfen zu müssen. Sie müssen selbst dafür Sorge tragen, dass sie zum Anlaufpunkt werden, wann immer es um ihre Produkte geht.

Das geschieht durch geschickte Markeninszenierung, das zielgenaue Bedienen der Kundenbedürfnisse durch hochwertige Content-Angebote oder im Rahmen von Marketing-Kooperationen (bis hin zu Showroom-Konzepten). Jede Investition in die eigene Marke wird sich so am Ende auszahlen. Gerade bei qualitativ hochwertigen Produkten kann so die Nachfrage auch über den Hersteller direkt generiert werden. Hersteller können so souverän darüber entscheiden, an welche Händler sie interessierte Kunden verweisen. Jenseits der sog. Fast Moving Consumer Goods (FMCG) sollte das jedenfalls grundsätzlich möglich sein. Nebenbei erwähnt kann KI gerade bei der Identifikation von Kundenwünschen und -bedürfnissen Marken und Herstellern so auch auf Basis des selbst generierten Datenschatzes sehr wertvolle Dienste erweisen. Denkt man diese Alternative konsequent zu Ende, können Hersteller den Spieß sogar umdrehen, indem sie über eine gute, komfortable Händlersuche dem (Einzel-)Handel Kunden zuführen – und dafür ihren Preis aufrufen.

Lesenswerte Zusammenfassungen zur DMEXCO finden sich übrigens bei der horizont, ibusiness, t3n, im e-commerce-magazin und bei marconomy.

 

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