24. Oktober 2023

Wir müssen wachsen – mit unseren Aufgaben

Christoph Salzig - Moderator beim S!NN Kongress in Münster

Vor einigen Tagen habe ich beim S!NN-Kongress im Kongresszentrum der Halle Münsterland als Moderator mitgewirkt. Im Fokus standen hier soziale Innovationen als Lösungen für eine nachhaltige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die beiden Köpfe hinter dem Event-Team, Michael Kortenbrede und Björn Fischer, definieren dabei Nachhaltigkeit als “die Grundlage einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Sie denkt Ökonomie, Ökologie und Soziales gemeinsam.” Spätestens jetzt ist klar, warum sich mehr als 800 Teilnehmer:innen, Vortragende sowie Unternehmen und Start-ups hier versammelt haben. Aus meiner Sicht reden wir hier über das große Thema unserer Zeit. Wieviel Wachstum ist überhaupt noch möglich? Noch mehr: Gibt es nachhaltiges, grünes Wachstum überhaupt? Wie gehen wir mit Klimawandel, Ressourcenverbrauch und -mangel, aber auch Inklusion in Bildung, Arbeitswelt und Gesellschaft um? Wie kann eine echte, umfassende Teilhabe aussehen? 

Warum Haltung so elementar ist

All diese Themen begegnen uns im Arbeitsalltag. Sei es als HR-Verantwortliche, die mit Fach- und Arbeitskräftemangel kämpfen, oder als Supply Chain Manager, die Lieferketten und Rohstoffbeschaffung verantworten, als Manager und Vorstand, die sich mit Nachhaltigkeitsberichten, Ökobilanzen uswusf. befassen müssen – und überall dort, wo intransparente Prozesse und Kommunikation Zweifel aufkommen lassen. Green und Social Washing, Feigenblattkampagnen, “Purpose driven Marketing“ (irgendwie auch ein Widerspruch in sich für mich) oder Shitstorms ranken sich in aller Regel immer wieder um genau diese Themen. Kurz: Es geht um Haltung! Wie stehen wir zum Binnenverhältnis von Ökonomie, Ökologie und Sozialem wirklich? Wie ernst nehmen wir gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation? Was ist der Sinn unseres unternehmerischen Handelns? Geht es um Profite für Shareholder, um sinnvolle Arbeit für die Belegschaft oder einen Wertbeitrag für die Gesellschaft, ohne dabei auf unser eigenes Auskommen zu verzichten?

Konzeptlos in ein Deutschland 2050

So habe ich mich mit dem Journalisten und Autor Nick Reimer über sein Buch “Deutschland 2050” unterhalten – eine ehrliche Bestandsaufnahme, wie es in Deutschland um die Natur, die Städte, den Verkehr, die Wirtschaft, den Energiesektor und die Politik bestellt ist im Jahr 2050, wenn wir den Klimawandel nicht stoppen oder nur wenig bremsen. Es ist kaum überraschend, dass die Realität für uns und unsere Nachfahren sowie die Natur und die Tiere schwer auszuhalten sein wird. Eigentlich wissen wir das schon längst. Seit den 80er, 90er, Nuller Jahren. Wer etwas besser informiert ist, hat sich vielleicht auch schon für den Bericht “Die Grenzen des Wachstums” des Club of Rome aus dem Jahr 1972 (!) interessiert. Das ist nun mehr als 50 Jahre her. Und immer noch gelingt es uns nicht, zu wirklich neuen Konzepten zu kommen, etwa einer Energiewende, die auch wirklich den Namen verdient, zu einer gedrosselten Konsumbereitschaft oder einer Industrieproduktion, die mehr an der Umweltverträglichkeit, Langlebigkeit oder Reparaturfähigkeit ihrer Produkte interessiert ist als an steten Innovationszyklen und einem Befeuern des Konsumverhaltens. 

Es gibt nichts Gutes – außer man tut es!

Gut, dass wir mal drüber gesprochen haben. So könnte das Fazit eines solchen Kongresses ausfallen. Nach meiner Wahrnehmung aber waren für ein Achselzucken (vulgo: “ich kann doch sowieso nichts ändern”) am Ende zu viele alternative Konzepte auf dem Tisch. Sehr konkret und zugleich durchaus radikal nimmt sich hier das Konzept der Postwachstumsökonomie von Prof. Niko Paech (er lehrt und forscht als Volkswirt im Bereich Plurale Ökonomik an der Universität Siegen) aus. Sein Plädoyer: Weniger ist mehr (in Buchform: All you need is less!). Weniger produzieren, weniger konsumieren, weniger arbeiten. Das ist arg verkürzt. Und in dieser Lesart ist es kaum verwunderlich, dass er von Vertretern der klassischen Wachstumsökonomie à la Hans-Werner Sinn (nomen est omen oder nomen est nihil?) mitunter als “Spinner” abgetan wird, weil er das seit vielen Jahrhunderten gültige Narrativ und Postulat des permanenten Wachstums massiv in Frage stellt. Wie solche Diskussionen dann laufen können, zeigt u.a. diese phoenix Runde.

 


Innovationen aus der Mitte der Gesellschaft

Fakt ist, dass neue Konzepte von der solidarischen Landwirtschaft über regionale Ökonomie bis zu Verantwortungseigentum angesichts der globalen Krisen und Ungerechtigkeiten sowie der jetzt schon mehr als spürbaren Auswirkungen des von rückwärts denkenden Faktenverleugnern immer wieder bar jeder Vernunft angezweifelten Klimawandels dringend gebraucht werden. Der Ansporn der Teilnehmenden am S!NN-Kongress ist, genau hier anzusetzen. Für sich selbst, das eigene Umfeld oder Unternehmen oder auch auf gesellschaftspolitischem Terrain. Veränderung – so fällt mein Fazit nach diesem Tag nüchtern aus – kommt nicht von einer vom Wahlvolk abhängigen Politik, wie die Ampelkoalition derzeit ein weiteres Mal eindrucksvoll unter Beweis stellt. Veränderung entsteht allein aus der Gesellschaft. Durch jede:n Einzelne:n, Vorreiter:innen, Zusammenschlüsse, kreative Unternehmer:innen. Belege dafür konnte jede:r für sich vielfach in Vorträgen, Workshops oder beim abschließenden Pitch der Social-Entrepreneur-Start-ups entdecken. Wie aus der eigenen (negativen) Erfahrung neue Ideen entstehen können, zeigt etwa das Beispiel von Felix Landmessers Start-up HealthX Future. Wie auch seine Mitstreiter war Felix pflegender Angehöriger und knallhart mit den Problemen und Grenzen des Pflegesystems konfrontiert. Anstatt zu verzweifeln, arbeitet er nun daran, mit Hilfe einer Sorge-App einige der bekannten Probleme in der häuslichen Pflege zu lösen. Der Prototyp ist bereits in der Testphase bei der Diakonie. 

Die Entwicklung diskriminierungsfreier KI

Wie wichtig es ist, bei solchen Digitalisierungsansätzen die Perspektive von Betroffenen und der zu pflegenden Personen vom Start weg mitzudenken, darauf verwiesen sowohl Marian Husmann vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe sowie Jan Quaing, der als Experte für die doppelte Transformation bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt einige Negativbeispiele für die diskriminierende und alles andere als inklusive Vorgehensweise bei KI-Projekten auflisten konnte. Sabrina Lorenz, die als chronisch kranke Influencerin (kann man das so überhaupt sagen?) die Anliegen von behinderten und chronisch kranken Menschen vertritt, wies dann auch darauf hin, dass es bei aller Digitalisierung und Technologisierung vor allem darum gehen muss, in allen Bereichen der Pflege und unserer Gesellschaft vor allem wieder mehr Menschlichkeit zu ermöglichen.

Wie können wir mit den Aufgaben wachsen?

Ich habe beim S!NN-Kongress eine Menge mir bislang nicht so umfassend bekannter Themen, Zusammenhänge und Alternativkonzepte kennenlernen dürfen. Daher nochmal der Dank, dass ich als Moderator und pr://ip – Primus Inter Pares als Unterstützer dabei sein durften. Wenn wir uns als Team künftig die Frage nach Wachstum stellen, dann wird das für uns noch konsequenter als ohnehin schon darauf hinauslaufen, dass wir uns fragen werden, wie wir mit unseren, aber vor allem eben auch den großen anstehenden Aufgaben wachsen können. Lassen sich Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammendenken? Und wenn ja, wie? Spoiler: Ganz sicher nicht, indem wir nun alle wahllos mit generativer KI herumexperimentieren und auf diese Weise den Energieverbrauch weiter ankurbeln. Wertschätzung und Menschlichkeit werden für uns wichtige Prämissen bleiben. Egal, was wir tun und woran wir mit wem auch immer arbeiten. Das ist nicht einfach. Aber es lohnt sich! Auch und gerade in schwierigen Zeiten!

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