16. November 2022

DMEXCO: Erstes Mal VS Dauerkarte

Alte Hasen der Branche kennen die DMEXCO und wissen, was sie erwartet. Anders geht es dem Prip-Neuzugang Georg Buterus. Der Junior PR-Manager war 2022 zum ersten Mal dabei und kann unvoreingenommen von seinen Erfahrungen berichten. Im Gegensatz zu Agenturchef Christoph Salzig, der schon Messeerfahrung im zweistelligen Bereich unter dem Gürtel hat. Hier berichten zwei Extreme von ihrem Besuch und lassen sich unterschiedlich über folgende Themen aus:

Messe und Aussteller

Georg: So fühlt sich wohl Las Vegas an, waren die Gedanken bei meinen ersten Schritte in den Messehallen. Überall bunte Versprechungen, laute und überspitzte Claims und das Gefühl, deine Aufmerksamkeit wird an jeder Ecke geradezu verlangt. Dabei hilft es nicht, wenn die meisten Namen unbekannt sind und SEO-optimiert aus der Marketingabteilung zu stammen scheinen. Zwischen den ganzen Buzzwords die vertrauenswürdigen Angebote herauszufiltern, quasi unmöglich. Also orientierte ich mich an den Big Playern. Wo Google und Twitter mitmischen, wird es wohl spannend sein. Die große Begeisterung bleibt aus. Die meisten Aussteller:innen locken mit Goodies und Foodies. Highlights wie Beutel zum selber Bemalen beim Pinterest-Stand oder Getränke per Tweet zu bestellen, bleiben die Ausnahme. Viele gute Ideen gehen sicher auch in der Menge unter. Denn auch wenn die Messe nur drei Hallen füllt, werben über 500 Aussteller um die Aufmerksamkeit und konkurrieren mit den Speaker:innen auf den fünf Hauptbühnen.

Christoph: Fast drei Jahre war es her, dass ich das letzte Mal auf einer solchen Veranstaltung gewesen bin. Weniger um diesen Moment zu würdigen, als mehr mit meinen gemischten Gefühlen vor dem Andrang der Besucher, habe ich die Gelegenheit genutzt, vor Messestart durch die präparierten, aber noch menschenleeren Hallen zu gehen. So richtig konnte ich gar nicht sagen, was das mit mir gemacht hat. Eine Mischung aus Vorfreude, Demut und auch durchaus Berührungsangst hat sich breit gemacht. Das Set-up war mir bestens bekannt, das Gefühl für einen intensiven Messebesuch war aber mittlerweile abhandengekommen. Erstaunlich war für mich, wie sich die Branche in nur drei Jahren verändert hatte. Viele unbekannte Namen mit großen Ständen – das war mir zuletzt zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn in der Digitalbranche zur Jahrtausendwende so begegnet. Damals in einer anderen Zeit und einer anderen Welt – bei der CeBit in Hannover. Was mir sehr gut gefallen hat: Das offene Messekonzept, viele Networkingbereiche zum lockeren Austausch. Das ist die Plattform, wie ich sie mir für fachliche, persönliche Begegnungen wünsche. Verzichtbar hingegen finde ich Autoscooter oder Eislaufbahnen – das ist meiner Meinung nach aus der Zeit gefallen.Vielleicht ist es altersbedingt, aber je mehr Businessfokus und je weniger lautstarkes Entertainment, desto besser. Dazu passt, dass ich statt 20 Terminen im 15 Minutentakt wie in früheren Tagen, “nur” noch 10 Termine zwischen 30 und 60 Minuten absolviert habe. So wird es bleiben!

Konferenz

Georg: Und die Leute auf diesen Bühnen sind immer wieder richtig gut! Wenn Thomas Koch (auch bekannt als Mr. Media) auf eine zu lange und umambitionierte Frage knallhart „Nein“ antwortet und sich weigert, die Antwort auszuführen, ist das an sich schon unterhaltsam. Für die wirklich großen Themen, waren die Bühnen aber immer wieder zu klein. Der Raum für neue Erkenntnisse oder tiefgründige Antworten fehlt einfach – dafür ist die Zeit zu knapp bemessen. Besonders schmerzhaft wurde diese in den Gruppenpanels deutlich. Bei vier bis fünf Teilnehmer:innen ist der Sprechanteil so gering, dass kein Platz für Streitgespräche oder Offenbarungen zwischen den Sofas bleibt. Auf den Konferenzen kann man viel mitnehmen, gerade wenn die Branche für einen neu ist. Wer jedoch Tiefe in einem so breiten Planschbecken erwartet, wird leider enttäuscht.

Christoph: Hier kann ich es eigentlich kurz machen: Die bunten, schillernden Namen sind nichts für mich. Ich brauche bei solchen Events kein Hollywood und auch kein Lametta auf der Bühne. Umso wichtiger finde ich es, dass hier Platz für kritische Diskussionen, Inspiration und Richtung weisende Visionen ist. Hier hat die DMEXCO einige wirklich gute Speaker:innen und Panels auf der Bühne präsentiert – mein alter Münsteraner Buddy Peter Großkopf mit seiner Idee zum Web 3.0, die Panels unter Beteiligung der Brandeins, die Masterclass zur Gen Z von JobTeaser* oder auch das Opening durch Google Repräsentant Matt Brittin waren für mich die Highlights. Wobei sich vor allem Google daran messen lassen muss, was sie in Köln in puncto Datensicherheit verkündet haben. Insgesamt würde es der DMEXCO gut tun, noch mehr kritische Untertöne zuzulassen: mehr Selbstreflexion zum Status Quo der Branche und den Fehlentwicklungen. Von einer claqueurhaften Jubelarie ist der Konferenzteil der DMEXCO aber glücklicherweise dennoch weit entfernt. Das sieht bei vergleichbaren Anlässen leider ganz anders aus. Zugegebenermaßen fehlte mir an zwei Tagen wieder einmal Zeit und Muße mich noch mehr auf die Konferenzinhalte und vor allem auch die Masterclasses einzulassen. Glücklicherweise lässt sich das durch das Video-on-Demand-Angebot ja nachholen.

Standparties

Georg: Wo es kostenlos Essen und Getränke gibt, da sammelt sich die Menge. Eine gute Formel, um möglichst viel Masse zum eigenen Stand zu holen. Ich zweifle daran, wie viel es dem Aussteller tatsächlich gebracht hat. Für einen Image-Boost ist so eine Aktion sicher gut. Ich kann mich allerdings nicht mehr an den Namen des Ausstellers erinnern. Selbst nachdem ich Abends noch einige Stunden dort verbracht habe – und ich schwöre, es liegt nicht daran, dass auch Alkohol ausgegeben wurde. Der größte Vorteil der Standpartys: Sie bieten einen zentralen Treffpunkt. Der perfekte Ort, um bekannte Gesichter näher kennenzulernen und einfach mal anzusprechen. Auch um mit Referent:innen über ihren Vortrag zu diskutieren.

Christoph: Standparties der vergangenen DMEXCOs bestachen vor allem durch sich gegenseitig überbietende Lautstärke. Und das meist schon ab 17 Uhr. Da dieses Mal bis 24 Uhr (die alte CeBit mit ihren “legendären” Tobit-Standparties lässt grüßen) in den Messehallen gefeiert werden durfte, ging es meist etwas dezenter zu Werke. Wobei ich das Ende nicht mehr miterlebt habe, weil ich gegen 20 Uhr gegangen bin. Für spontane Verabredungen vom Tag oder auch zufällige Neukontakte sind Standparties immer noch prima. Das Aufdrehen der Musik während andernorts noch Masterclasses oder Konferenzvorträge laufen, finde ich allerdings ziemlich rücksichtslos. Derlei Parties habe ich direkt gemieden, weil es mir schlicht unsympathisch ist. Glücklicherweise war das im Gegensatz zu früheren Tagen die Ausnahme. Wer sich Hunger und Durst aufgespart hatte, konnte hier auf jeden Fall auf seine/ihre Kosten kommen. Angesichts der zum Teil völlig überzogenen Preise für das Essen lohnt sich eine solche Durststrecke tatsächlich. Allerdings sei auch erwähnt, dass nicht wenige Stände die Grundversorgung über den Tag sichern.

Networking

Georg: Um jemanden kennenzulernen, musst du jemanden kennen. Paradox nicht? Aber so fühlte es sich an, wenn sich meine Kolleg:innen an den vielen Ständen oder auf dem Weg zur nächsten Veranstaltungen mit ihren Bekanntschaften trafen. Ohne einen Fuß in der Tür, ohne bereits eine Hand geschüttelt zu haben, fühlt es sich schwierig an, überhaupt als potenzieller Gesprächspartner erkannt zu werden. Die Wahrheit sieht sicher etwas anders aus. Doch neu in der Branchenwelt, ist man erstmal etwas verunsichert. Sobald die Messe gelaufen ist, nimmt die Hektik ab und das Hochprozentige macht die Runde  – alle werden lockerer und die Grenze verschwimmt. Man unterhält sich im Raucherbereich oder bei den Standparties. Eine spannende Möglichkeit des Networkings stellt die Messe-App dar. Eine kurze Nachricht mit der Bitte um ein unverbindliches Treffen? Ein vielversprechendes Instrument, das ich nächstes Jahr gerne ausprobieren möchte.

Christoph: Viele bekannte Gesichter, weniger als erwartet – aber das war überhaupt nicht schlimm. Ehrlich gesagt gibt es gerade bei solchen Anlässen Menschen, die ich expressis verbis nicht vermisse. Die mir zugewandten Menschen habe ich größtenteils gesehen und gesprochen. Und das intensiver als in den Vorjahren. Mir hat das sehr gut getan. Das Sehen und Gesehen-werden, das Schaulaufen der vermeintlichen “Siegertypen”, das non-verbale Grüßen und “Wir-müssen-mal-wieder-telefonieren” ist an mir komplett abgeperlt. Die Kunst lag und liegt in Zukunft in der Beschränkung auf nachhaltige, intensive Kontakte. Mit der DMEXCO App ließ sich das schon im Vorfeld gut vorbereiten und die Kontaktaufnahme über diesen Weg hat erstaunlich oft zu realen Begegnungen auf der Messe geführt. 

Die Digitalbranche

Georg: Was hat man vor Augen, wenn man sich die Digitalbranche vorstellt? Vielleicht eine Gruppe junger Männer, die voller Elan ihr erstes Start-Up gründen? Oder ältere, weiße Männer, die seit Jahrzehnten dabei sind und mit ihrer Position die Medienlandschaft dominieren? So wie befürchtet, war es dann doch nicht. Entgegen meiner Erwartungen fanden sich auf den Panels auch immer wieder Frauen in Führungspositionen, die – und dieser Aspekt wird immer noch unterschätzt – nicht nur über das Thema “Mehr Frauen in der Arbeitswelt” sprachen. Im Punkt Diversity hat die Digitalbranche jedoch noch Aufholbedarf, wenn mir beim Stichpunkt “bunt” als erstes die Haare von Youtuber Rezo einfallen. Auch der Kleidungsstil fiel konservativer aus, als ich es von einer Kreativbranche erwartet hätte. Anzüge, schicke Hemden und Kleider prägten die langen Hallen. Gewagte Auftritte eher Fehlanzeige. Und das fasst gut zusammen, was mich an der ganzen Messe überrascht hat: Es fühlte sich an, wie eine angemessene Veranstaltung für so eine große Branche, ohne jedoch viele Wagnisse einzugehen oder mich als Neuling groß zu überraschen.

Christoph: Tja, dazu fällt mir sehr viel ein. Vor allem aber: Das Bild, das die Branche von sich liefert, entspricht in vielen Fällen leider nicht der Realität. Offenheit, Transparenz, Authentizität – diese Attribute sind in einer Branche, die nicht nur, aber eben doch in einem durchaus relevanten Ausmaß durch “closed shops”, Intransparenz und volatile, digitale Begegnungen geprägt ist, bleiben in der Gesamtwahrnehmung nur allzu oft auf der Strecke. Ich habe das in meinen Gesprächen immer wieder thematisiert und dabei die Erfahrung gemacht, dass meine Gesprächspartner:innen diese Wahrnehmung teilen. Nun mag das zu einem gewissen Grad auch an der Auswahl meiner Kontakte liegen, dennoch ist dieser Aspekt nicht wegzudiskutieren. Spätestens abseits der Digitalblase wird einem das sehr schnell klar. Das Gespräch mit Eltern jenseits der 60 oder am Büdchen in der Kölner Innenstadt sollte das jedenfalls sehr deutlich zeigen. Wie es die Digitalbranche mit ihrer Selbstwahrnehmung als “Layer”-Branche, die sich über alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche erstreckt, künftig schafft, nicht nur ihre Relevanz, sondern auch ihre kritische Auseinandersetzung mit allen damit verbundenen Aspekten im Rahmen einer DMEXCO so zu thematisieren, dass die es auch hier bis in die Mitte der Gesellschaft schafft, das dürfte eine der spannenden Fragen der kommenden Jahre sein. 

Das persönliche Fazit

Georg: Mein größter Gewinn aus der DMEXCO sind Namen und Gesichter. Die Persönlichkeiten der Branche live zu sehen, den Namen auch Menschen zuordnen zu können und zu wissen, wer bereits ein Standing hat, ist unglaublich wertvoll. Viele der spannenden Themen kamen mir während der Messe jedoch etwas zu knapp. Zu wenig Auswahl gab es jedenfalls nicht, bei mindestens drei Auswahlmöglichkeiten zu fast jedem Zeitpunkt. Dafür nehme ich einen Querschnitt mit, was die Branche gerade so bewegt. Für mich waren einige Überraschungen dabei: etwa welchen hohen Stellenwert das Metaverse mittlerweile einnimmt und wie unkonkret das Thema dennoch bei vielen Konferenzen bleibt. Mit geschärfteren Augen kam ich von Kölnmesse wieder und freue mich schon auf das nächste Jahr. Nicht mehr so erschlagen von den vielen neuen Dingen, bleibt Zeit und Kraft die Möglichkeiten der Messe zu nutzen. Sowohl für den Wissensgewinn als auch das Networking.

Christoph: Meine DMEXCO22 war von viel mehr Ruhe und Gelassenheit geprägt als jemals zuvor bei irgendeiner der großen Digitalevents. Fast drei Jahre Pause haben hier etwas verändert – zum Guten, wie ich finde. Mehr Zeit für intensive Gespräche, mehr Fokus auf Businessthemen. Dabei hat die thematische Clusterung der DMEXCO mit ihren Ökosystemen, in denen die Teilcommunities auf der Fläche gebündelt wurden, einen guten Beitrag geleistet. Auch die Plattform hat hier bei der Vorbereitung geholfen, wenngleich hier sicher noch die eine oder andere Kleinigkeit verbesserungswürdig ist. Es war endlich mal wieder ein physisches Event mit echten Menschen. Es war eine gut organisierte, gut gefüllte Veranstaltung. Es hat sich gelohnt, dort gewesen zu sein. Das alles bleibt bei der detailversessenen Kritik, die hier und da geäußert wurde, leider oft auf der Strecke. Hier zeigt sich bisweilen die selbstverliebte und unausgewogene Hau-drauf-Mentalität der lauten Marketing- und Digitalbranche. Es sind allerdings auch genau diejenigen, mit denen ich vor Ort keinen Kontakt hatte – wie gesagt: Es gibt eben auch Menschen, die ich bei solchen Anlässen nicht vermisse oder vermissen würde. 

 

*Disclaimer: JobTeaser ist Kunde bei pr://ip. Die Präsentation der Ergebnisse des aktuellen Karrierebarometers bot allerdings nicht nur spannende, teils überraschende Insights, sondern war vor allem durch das Format sehr spannend. Die Resultate wurden hier durch Tim als Repräsentant der Gen Z auch gleich noch einmal gut eingeordnet.

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