Gestern erschien im Hamburger Abendblatt ein Beitrag über das zwiespältige Verhältnis, das einige Herbergen und deren Gäste zu Bewertungsportalen im Reise- und Tourismusbereich pflegen. Nachdem sich die Anzahl ernstzunehmender Anbieter vor einigen Jahren noch auf spezialisierte Anbieter wie HolidayCheck beschränkt hat, haben inzwischen alle Buchungsplattformen (etwa hotel.de, hrs.com) und Portale aus dem Reiseumfeld (Tripadvisor, Qype usw.) nachgezogen. Die Suche nach einem passenden Hotel in den gängigen Suchmaschinen oder bei Google Maps legt die Bewertungen offen und zeigt eindrucksvoll, wie groß die Macht des „Crowd Surfings“ inzwischen ist.
Das Hamburger Abendblatt beschreibt nun einen Fall, in dem diese Macht von Hotelgästen gezielt genutzt wird, um nachträglich den Übernachtungspreis zu reduzieren. Früher musste man hierfür mit dem Guide Michelin oder der Bildzeitung drohen – die Zeiten haben sich geändert. Offenbar hat sich dieser Zeitenwandel unbemerkt von einigen Hotels (die hier nur stellvertretend für das Gros der Unternehmen und Wirtschaftszweige in Deutschland stehen) vollzogen. Wie sonst ist zu erklären, dass sie bei solch unversteckt vorgetragenen Erpressungsversuchen in eine Art Schockstarre verfallen?
Im günstigsten Fall ist hier ein Mangel an Verständnis für das Thema Online-Reputationsmanagement und Kundenbindungsmechnanismen im internet zu konstatieren. Im ungünstigsten Fall steht zu befürchten, dass die Qualität des Hotels tatsächlich unterirdisch gewesen ist. Aufklären lässt sich das im Nachhinein sicher nicht. Aber: Solche Vorfälle lassen sich natürlich auf ein schadloses Maß eingrenzen, wenn schon nicht verhindern.
Üble Nachrede und Verleumdung sind auch im Internet strafbar. Das gerät bei der Diskussion über „freie Meinungsäußerung“ und Reputationsmanagement leider allzuoft in Vergessenheit. Solche Fälle sollten daher nicht im Verborgenen, sondern öffentlich thematisiert werden. Daher ist der Beitrag des Hamburger Abendblatts absolut begrüßenswert, weil er die veränderten Kommunikations- und Informationswege ins öffentliche Bewusstsein bringt.
Dieser Fall belegt einmal mehr: Unternehmen gehen mit den Themen Online-Reputationsmanagement und „Crowd Surfing“ (also die „Meinungsmacht“ der User im Internet) immer noch viel zu passiv um. Es muss die Frage erlaubt sein, warum Hotels ihren Gästen nicht anbieten, Bewertungen bei Tripadvisor, Qype, HotelCheck oder sonstwo, zu platzieren, wenn es den Gästen gefallen hat. Die simple Überlegung, wo und wie Kunden mein Hotel finden und sich eine Meinung bilden, führt automatisch zu dieser Lösung.
Es spricht meines Erachtens auch nichts dagegen, eine entsprechende Incentivierung damit zu verbinden. Dann muss man auch keine Angst mehr vor Kommentaren haben, die an der Realität vorbeigehen – hierzu gibt es ja auch in der Regel Steuerungsmöglichkeiten wie „XY Nutzer haben diesen Kommentar/diese Bewertung als hilfreich empfunden“. Das eigentliche Ziel dieser Aktivitäten und Maßnahmen aber sollte auch klar sein: Zufriedene Kunden und eine gute Dienstleistung. Dann braucht auch niemand Angst vor dem „bösen Kunden“ zu haben.
Mein Lesetipp: Martin Thomas & David Brain: „Crowd Surfing“ (in engl. Sprache)
Mein Veranstaltungstipp: „Crowd Surfing: How to harness the ideas of consumers and expand brand engagement“ – Workshop mit Martin Thomas beim DMMK (8. Juni in Berlin)
Die komplette Diskussion dieses Vorfalls findet sich übrigens in der von mir moderierten Xing-Gruppe „Unternehmenskommunikation im Mittelstand„.