24. Januar 2013

Mehr Follower als Bushido, aber keine Relevanz: Die seltsame Geschichte von @jholthaus

Wer zum Geier ist Julian Holthaus? Ganz einfach: Die Nummer Sechs des deutschen Twitterrankings mit mehr Followern als Bushido oder Dieter Nuhr, Borussia Dortmund oder Bayern München. Selbst Ikonen des deutschsprachigen Social Webs wie Sascha Lobo können sich nur verwundert die Augen reiben ob der Popularität des münsterländischen Steuerberaters. Die ganze Geschichte….

334.842 Follower und Platz Sechs im deutschen Twitter-Ranking. Da sollte man meinen, dass Julian Holthaus (aka @jholthaus) seinen Job als Steuerberater bald an den Nagel hängen kann, um sich künftig von deutschen Werbern und Marketeers für seine Tweets bezahlen zu lassen. Wie, Ihr kennt Julian Holthaus nicht? Ich meine DEN Julian Holthaus! Aus Reckenfeld. Steuerberater. Film-Fan. Aber den müsst Ihr doch kennen. Immerhin ist seine Twitter-Community ungefähr so groß wie die von Sascha Lobo, der Bild-Zeitung und dem FC Bayern München zusammen. Nein? Nicht? Keine Sorge, Ihr habt nichts falsch gemacht.

Mit Vorsicht zu genießen: Deutsche Twittercharts nach Followerzahl

Mit Vorsicht zu genießen: Deutsche Twittercharts nach Followerzahl

Vom Nobody zum Nobody der deutschen Twitter TopTen

Es war vorgestern als die Münstersche Zeitung mit dem Phänomen konfrontiert wurde. Ralf Heimann, in dieser Woche CvD bei der „MZ“ und den Twitteratis wohl besser wegen seiner „Blumenkübel“-Geschichte bekannt, sitzt quasi nur durch eine Wand getrennt im anderen Gebäudeteil und versuchte der Sache auf den Grund zu gehen. Wie kann es sein, dass jemand seinen Twitter Account anlegt und ohne jeden erkennbaren Grund eines Morgens mehr als 6.000 Nachrichten mit dem Hinweis „XY folgt Dir auf Twitter“ in seinem Mailkonto vorfindet. Am nächsten Tag 25.000, einen Tag später schon 60.000. Die ganze Geschichte hat die MZ in einem Artikel aufbereitet. Vorher aber hat Ralf mal in die kleine Runde (Kai Heddergott, Volker Meise und meine Wenigkeit) gefragt, was es damit so auf sich haben könnte. So recht konnte sich spontan keiner von uns einen Reim darauf machen.

Ein T macht den Unterschied

Kai Heddergott war sich schnell sicher, dass es sich eigentlich nur um Fake-Accounts handeln kann. Die einschlägigen Analysetools bestätigten das. Volker Meise identifizierte mit seinen Tools, die er als Leiter Social Media Monitoring bei altares Medienmonitoring täglich nutzt,  zu Tage, dass viele Profile aus den USA, einige aus Brasilien und die wenigsten aus Deutschland stammten. Die meisten hatte ihre Herkunft im „unknown country“ und hatten in Ermangelung eigener Tweets und Follower eine Relevanz von „0“. Mein Gegencheck des Holthaus’schen Profils mit Influencer-Analysen förderte ähnliches zu Tage.

Des Rätsels Lösung brachte schließlich socialbakers, hier führte die Suche nach jholthaus nicht zum Profil des Reckenfelder Steuerberaters, sondern zu T. J. Holthaus, einem Software Entwickler aus den USA, der – aus welchem Grund auch immer – in Ermangelung sinnvoller Freizeitbeschäftigung, gerne massenhaft kostenlos (und vielleicht auch kostenpflichtig?) feil gebotene Twitter-Follower einsammelt, wie sein letzter Tweet von gestern Abend sehr schön belegt.

Leider ist bei der Übermittlung seines Twitternicks ein „T“ auf der Strecke geblieben, sodass die bestellten Fake-Twitteratis, die wahllos real existierende Twitter-Bios (die Kurzbeschreibungen des eigenen Profils) übernehmen um echt zu wirken, nicht in den USA, sondern im Münsterland aufschlugen. Julian Holthaus lag also mit seiner Vermutung vom Oktober absolut richtig.

Und das sollten wir alle daraus lernen! (Im Zweifel einfach erst ab hier lesen, wenn mal wieder keine Zeit ist!)

Immer wieder predige ich bei Konferenzen, Vorlesungen, Vorträgen, Workshops oder Coachings, dass es in den sozialen Netzwerken eben NICHT um Reichweite geht, sondern um Relevanz (bitte mitschreiben!). Der Effekt, den die mehr als 330.000 (in Worten: dreihundertdreißigtausend) Follower für Julian Holthaus haben ist: Null. Nichts. Niente. Nada, Rien. Nothing. Gut, er hat immerhin einen schönen Artikel mit Foto und Video in unserer Lokalzeitung (samt Online-Auftritt, mit dem Bewegtbild ist es in Print ja eher schwierig) bekommen. Kaufen kann er sich dafür aber nichts. Nicht mal das Label „Twitter Experte“ kann er sich anpappen. Und der Versuch, eine befreundete Band von seinem vermeintlichen Twitterruhm profitieren zu lassen, ist wirkungslos verpufft. Dafür durfte er schlappe 334.842 Benachrichtigungen von Twitter aus seinen E-Mails löschen.

Leider ziehen die sozialen Netzwerke in Kombination mit der althergebrachten Denkweise nicht weniger Marketeers, Werber und PR-Profis immer wieder solche Phänome an, die in etwa die gleiche Wirkung wie Schmeißfliegen haben. Es sieht nach viel aus, in Wahrheit ist es aber… ach lassen wir das. Gekaufte Twitter-Follower haben die gleiche Qualität wie Klick-Armadas in Südostasien, die Affiliate-Provisionen oder Klickzahlen in die Höhe treiben. Auch einmalig eingekaufte Reichweite bei YouTube, Facebook-Fans oder Backlinks aus Russland, um Suchmaschinenoptimierung zu betreiben sind weder seriös noch zielführend. Im Gegenteil: Sie sind Augenwischerei, ja schlimmer sie sind kontraproduktiv. Sie verursachen Kosten, entfalten keine Wirkung (bzw. im schlimmsten Fall negative) und sorgen am Ende dafür, dass die Zweifler behaupten werden: Siehste, dieser ganze Social Media Kram bringt doch nix!

Da bleibt nur eins: Vom Rückgaberecht Gebrauch machen. Schließlich darf man nach EU-Recht bei online erworbenen Gütern von seinem Rückgaberecht Gebrauch machen, wie der anschließend illustrierte Selbstversuch von Andreas Rother (aka @fischkippe) belegt. Julian Holthaus wird das indes nichts nützen, schließlich muss er die unbestellte Suppe auslöffeln. Aber vielleicht lernt er bei dieser Gelegenheit ja wenigstens seinen Namensvetter aus den USA kennen – und bekommt nun endlich den einen oder anderen richtigen Follower.

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