Ich habe keine Ahnung, wie viele Konferenzen, Kongresse und Messen ich in meinem Leben schon besucht habe. In den letzten 25 Jahren dürften es mit Sicherheit mehrere hundert gewesen sein. Mehrere Dutzend Veranstaltungen habe ich als Moderator, Co-Organisator, Panelteilnehmer oder durch die Koordination im Hintergrund als Ansprechpartner für Medien, Programmkurator oder Community-Manager aktiv begleitet und vorbereitet. Und natürlich gab es dabei eine Menge sehr unterschiedlicher Qualitätsniveaus. Will sagen: Das war nicht immer nur schön. Manchmal sogar ganz im Gegenteil. Für mich stehen einige wenige Aspekte immer im Vordergrund, wenn es um das Gelingen von Veranstaltungen geht. Da ist zum einen die Vernetzung von Menschen, die gemeinsame Interessen, Ziele oder fachliche Inhalte teilen und zum anderen die Frage, was jede:r einzelne Teilnehmende von einer solchen Veranstaltung mitnehmen kann. Und damit meine ich nicht Give-aways oder schlaue Merksätze. Ich meine konkrete Tipps und Ideen, die jeder einzelne direkt im beruflichen oder privaten Umfeld zum Einsatz bringen kann.
Das ist für mich mittlerweile die Messlatte, wenn ich mich frage, ob ich zu einer Veranstaltung gehen oder mich dort sogar aktiv einbringen möchte. Insofern war die Frage, welche Veranstaltung in der vergangenen Woche für mich relevanter wird, sehr leicht zu beantworten. OMR oder S!NN Kongress? Rockstar oder Sinnsucher? Es ist nicht schwer zu erraten, dass meine Wahl auf den S!NN Kongress fiel. Und das nicht nur, weil ich schon einmal 2023 für eine Moderation gewonnen wurde. Aber der Reihe nach.

Kleiner Finger – ganzer Arm
Als Geschäftsführer einer kleinen Boutique PR-Agentur führe ich nicht nur meine Mitarbeiter:innen, ich bin auch – gewollt – Teil des operativen Tagesgeschäfts. Ich möchte wissen, für wen wir warum und mit welchen Zielen arbeiten. Da bleibt nur wenig Zeit für weitere Engagements außerhalb des Kerngeschäfts. Für den S!NN Kongress habe ich hier gerne eine Ausnahme gemacht.
Zwar bin ich nach vielen Jahren geübt im Umgang mit persönlichen, gesellschaftlichen und globalen Krisen. Aber auch mich hinterlassen Sie manchmal hilflos und ratlos. Die eigene Selbstwirksamkeit trotzdem zu spüren und dabei nach Verbündeten zu suchen, ist für mich ein sehr großer Resilienzfaktor und Antrieb im Alltag. Das gilt für mich und mein Team bei pr://ip – Primus inter Pares gleichermaßen – sonst wären wir auch kein Team. Das gilt vor allem aber auch für die sonstigen Betätigungsfelder in meinem Leben (vielleicht sollte ich hier meine Dauerkarte beim 1. FC Köln ausklammern). Daher ist es nicht ganz überraschend, dass der S!NN Kongress in den letzten Monaten zu einem dieser Betätigungsfelder geworden ist.
Eigentlich hatte ich den Initiatoren, in vorderster Front Björn Fischer und Michael Kortenbrede, nach meiner initialen Erfahrung 2023 nur angeboten, als Sparringspartner für die Weiterentwicklung dieses „Sehnsuchtsortes“ zur Verfügung zu stehen. Aber schon bei den ersten Treffen dieses wirklich bunten Haufens, der mitunter etwas chaotisch anmutet, wenn man es von außen betrachtet, hatte ich das Gefühl, vielleicht doch etwas mehr in die Waagschale werfen zu wollen. So habe ich am Ende eigenhändige Pressearbeit, einen Strauß wilder Ideen für Formate und Programm, Kontakte und die Moderation zum Gelingen des Kongresses beigetragen. Das war allerdings nur ein sehr geringer Teil eines überragenden Gesamtergebnisses, das bei aller Euphorie natürlich immer noch Luft nach oben hat. Aber dazu später mehr.

Dialogplattform für konstruktive Verbesserung
Der Kongress ist ein Begegnungsort für Menschen aus unterschiedlichen Generationen, sozialen Herkünften, Professionen und auch verschiedener Mindsets. Was alle gleichermaßen auszeichnet, ist die Offenheit zum Austausch, der Wunsch, etwas zum Positiven zu verändern und vermutlich auch die große Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz.
Ich würde für mich in Anspruch nehmen, dass alleine die Vorbereitung des Kongresses bei mir zu konstruktiven Verbesserungen geführt hat. So durch die designorientierte Entwicklung eines gemeinsamen Wertekompasses, der zur Grundlage für die Ausgestaltung der Veranstaltung sowie vieler kleiner und großer Fragen rund um die Organisation wurde. Etwa bei der Umsetzung des Ticketangebots. Nach dem Prinzip „Pay what feels right“ sollten vor allem auch diejenigen Zugang zum Kongress erhalten, die sich aufgrund ihrer finanziellen Situation eigentlich keine derartigen Extras leisten können. Daher wurden Ticketpreise von 0-100 Euro angeboten. Dass sich am Ende meine Skepsis bewahrheiten würde, dass dieses System nicht so richtig zur Refinanzierung des Kongresses beitragen kann, verbuche ich weniger als Weisheit, denn als Enttäuschung. Mehr als die Hälfte der Tickets waren kostenlos und etwa ein Viertel wurde für 15 Euro erworben. Sicher waren nicht wenige dabei, die auf diese finanzielle Barrierefreiheit angewiesen waren, warum es sich aber in diesem Ausmaß richtig anfühlt, für einen Tageskongress mit namhaften Keynotes und zahlreichen Workshops 0 oder 15 Euro zu bezahlen, erschließt sich mir nicht wirklich. Dass gemeinschaftlich beschlossen wurde, trotz schwieriger, finanzieller Grundlagen an diesem Prinzip und damit am eigenen Wertekompass festzuhalten, finde ich rückblickend richtig.
In jedem Fall konnte so sichergestellt werden, dass sehr unterschiedliche Menschen, insgesamt rund 1.400, an diesem Tag aufeinandertreffen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich als Moderator eines kompletten Kongresstracks leider sehr viel verpasst habe. Das zumindest wurde mir schon während des Kongresstages, vor allem aber auch im Nachhinein von vielen Teilnehmenden so gespiegelt. Aber einen Tod muss man sterben. Umso mehr freue ich mich darüber, dass ich schon in der Vorbereitung und später dann auf der Bühne mit Menschen zu tun hatte, die für sich zurecht in Anspruch nehmen können, einen konstruktiven Beitrag zur Verbesserung unserer Gesellschaft zu leisten. Ob Sebastian Klein, der als Co-Founder von Blinkist 90 Prozent seines Vermögens an einen gemeinwohlorientierten Fonds übertragen hat, oder Dr. Volker Oshege, der mit seiner IT Unternehmensberatung viadee zeigt, wie Unternehmenseigentum mithilfe der Großzahl der eigenen Mitarbeitenden verantwortlich verwaltet werden kann – ähnlich wie Johannes Benz mit seinem deutlich jüngeren Unternehmen Raidboxes oder Andreas Steinke, der zusammen mit seiner Frau bei seinen Friseursalons Cabelo und Junge Köpfe die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es müssen eben nicht immer die ganz großen Vorbilder sein. Es sollten vor allem Vorbilder sein, die jede:r in seiner eigenen Lebensrealität verorten kann.
Demokratie erhalten heißt auch Demokratie aushalten
Das von mir moderierte Werkstattgespräch zum Thema Demokratie war so voll mit guten Ideen, dass die Zeit kaum ausgereicht hat, hier wirklich tiefer einzutauchen. Aber dafür waren die Teilnehmer:innen am Gespräch eben auch nicht auf der „großen Showbühne“, sondern für alle Kongressbesucher:innen im wahrsten Sinne greifbar. Die Sichtweise auf sehr unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche wie die Kirche, die Verwaltung, Bürgerräte und -beteiligung oder das Ehrenamt dürfte sich – wie auch bei mir – bei den Zuhörenden durchaus gewandelt haben. Und letztlich geht es genau darum: die Demokratie zu erhalten, bedeutet eben auch Demokratie, sprich die andere Meinung und Haltung, auszuhalten. Das gilt wohlgemerkt nicht für Hass, Hetze und falsche Fakten. Die Konfrontation mit und Akzeptanz von anderen Meinungen haben wir uns durch eigene Filterblasen in Social Media und durch eine veränderte Mediennutzung sowie ein Abflauen der Diskussionen von Angesicht zu Angesicht während der Pandemie gefühlt immer mehr abgewöhnt.
Dass hier auch unbequeme Meinungen, die sich mit der eigenen Haltung nicht decken, zur Sprache kommen oder vertreten werden, gehört nun einmal auch zu einer dialogorientierten Plattform. Ansonsten können wir uns auch zum Stammtisch im Lieblingscafé verabreden und uns gegenseitig in dem bestärken, was wir ohnehin schon alle für richtig halten, und auf die Schulter klopfen. Nur bewegen wir uns auf diese Art und Weise keinen Zentimeter vorwärts. Und genau darum geht es: sich gemeinsam weiter zu entwickeln, im Dialog zu bleiben und einen Konsens zu finden, der die Zukunft konstruktiv mitgestaltet.
Hierfür muss man sich aber natürlich gegenseitig zuhören und argumentieren. Das ist wahnsinnig anstrengend und manchmal bekommt man das Gefühl, dass es vielen fast schon zu anstrengend ist. Nicht so Sebastian Klein, der zur Vorbedingung für seine Teilnahme gemacht hat, dass er mit Unternehmensvertreter:innen in Kontakt kommt, die seine Sicht der Dinge (noch) nicht teilen. Nur so kommt eine Diskussion ja überhaupt erst zustande. Dass sich Jesko von Stechow, Finanzvorstand der Westfalen AG, dieser Diskussion gestellt hat, wohlwissend, dass er hierfür Gegenwind ernten wird, ist aller Ehren wert. Daran anknüpfend konnte Philosophieprofessor Markus Gabriel einen wirklich gelungenen Abschluss bilden. Sein mit Humor und Tiefgang propagierter ethischer Kapitalismus hat für mich den Kreis geschlossen – auch wenn er mit dem Startup-Pitch der Social Entrepreneurs dann noch ein letztes Mal geöffnet wurde.

Luft nach oben – ohne dass sie zu dünn wird
Ich habe offen gestanden, zu viel verpasst, um wirklich beurteilen zu können, wo im Detail noch Verbesserungspotenzial liegt. In jedem Fall finde ich die Idee, den Kongress mit einem Reflexionsworkshop zu beenden, schlicht großartig. Wie oft habe ich es in der Vergangenheit erlebt, dass die Teilnehmer zum Ende einer Veranstaltung entweder in alle Himmelsrichtungen auseinandergegangen sind oder statt Ruhe und Besinnung, laute Musik und Alkohol bekommen haben.
Insgesamt 18 Workshops sprechen für die Praxisnähe des S!NN Kongresses, auch wenn am Anmeldeprozess sicher noch einiges verbessert werden kann. Ich selbst fand ihn so gut versteckt, dass ich mich gewundert habe, dass alle relativ schnell komplett voll waren. Vielleicht bin ich aber doch nicht so bewandert in digitalen Prozessen wie ich mir selbst gern vormache?! Für das Networking waren die Workshops sicherlich sehr hilfreich, ich glaube, dass die Partner, die ausstellenden Initiativen und Sponsoren hier auch noch einen guten Beitrag leisten könnten, anstatt handelsübliche Stände aufzubauen.
Wichtiger als früher ist mir persönlich auch das sogenannte Follow-up. Was passiert nun mit all diesen Ideen, die wir in die Köpfe und Herzen der Menschen eingepflanzt haben? Hier werden wir Antworten finden müssen, wie wir gemeinsam ins Handeln kommen – und das auch sichtbar machen.
Die Lernkurve ist bei solchen Events sehr steil. Vor allem dann, wenn ein Haufen ehrenamtlicher Mitstreiterinnen zusammen wirkt, ohne dass im Einzelnen die Talente, Fähigkeiten und Potenziale wirklich bekannt sind. Hierfür haben wir eine gute Grundlage gelegt. Spannend wird es, wenn wieder neue Gesichter bei einer möglichen Neuauflage mit an Bord kommen. Und hier stellt sich mir die entscheidende Frage: Ist das Konzept dauerhaft tragfähig? Wie kann ein solidarisches Ticketsystem zur Refinanzierung beitragen? Und welche Rolle spielen dabei Unterstützer:innen aus der Wirtschaft? Hier gibt es aus meiner Sicht die meiste Luft nach oben. Aber weniger, was eine zu befürchtende Einflussnahme von außen angeht, als vielmehr die Frage nach der Verteilung finanzieller Ressourcen und einer wirklich sinnhaften Einbindung von Unterstützer:innen. Hier gilt der Wertekompass, der für den gesamten S!NN Kongress gilt: Beide Seiten müssen mitgedacht und im Dialog ein guter Konsens gefunden werden, der das Format zukunftsfähig macht. Nach allen Erfahrungen, die ich machen durfte, mache ich mir darum keine Sorgen!
Chapeau an alle, die zum Gelingen beigetragen haben! Solltet Ihr es vorher nur geahnt haben: Nach Abschluss des S!NN Kongresses, wisst ihr, wofür ihr eure Zeit und Nerven investiert habt. Etwas besseres kann es kaum geben.

Christoph Salzig
Primus Inter Pares bei pr://ip. War lange Pressesprecher des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW). Ist Berater, Transformationsbegleiter, Moderator, Referent und Kommunikationstrainer. Gibt sein Wissen auch als Dozent an der Uni Münster weiter. Liebt Klartext, die Natur, das Leben und den Effzeh.