29. Dezember 2010

Mario Sixtus‘ zorniger Brief an die Verleger bei CARTA

Die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht war und ist für mich Ausdruck der Phantasie- und Planlosigkeit der deutschen Verlegerlandschaft. Mario Sixtus hat sich bei carta.de nun in einem zornigen Brief an die Verleger gewandt.

Dem Brief von Mario Sixtus, der heute bei carta.de veröffentlicht wurde, ist wohl kaum etwas hinzuzufügen. Die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht ist für mich Ausdruck der Phantasie- und Planlosigkeit der deutschen Verlegerlandschaft. Um im Bild von Mario Sixtus zu bleiben: Liebe Verleger, wenn Ihr ernsthaft das Gefühl habt, dass sich die Partygäste auf Eure Kosten betrinken, dann nehmt ihnen doch einfach den Stoff weg. Mit einem einzigen, kleinen Befehl seid Ihr für Google & Co. unsichtbar. So what? Worauf wartet Ihr noch? Dafür braucht Ihr weder Lobbyisten noch den Gesetzgeber! Das kann Euch der Praktikant mit rudimentären HTML-Kenntnissen besorgen!

Oder fehlt Euch – wie zurecht vermutet wird – der Glaube an Eure Einzigartigkeit? Habt Ihr am Ende Angst, dass Ihr gar nicht gebraucht werdet? Die lauthalse Forderung nach einem Leistungsschutz(geld)recht ist wohl kaum die geeignete Antwort. Erst die Gäste provozieren und dann mit Unschuldsmiene nach dem Rausschmeisser rufen. So nicht!

Mario Sixtus

Verlegerforderung Leistungsschutzrecht: Ja, habt ihr denn überhaupt keinen Stolz?

Weil uns das Verlangen nach einem Leistungsschutzrecht auch 2011 wieder “über Gebühr” beschäftigen wird, hat Mario Sixtus einen zornigen Brief an Springer, Holtzbrinck, Burda & Co. geschrieben.

Liebe Verleger,

das tut jetzt vielleicht ein wenig weh, aber einer muss es mal deutlich sagen: Euch hat niemand gerufen! Niemand hat gesagt: “Mein Internet ist so leer, kann da nicht mal jemand Zeitungstexte oder so was reinkippen?“ Ihr seid freiwillig gekommen, und ihr habt eure Verlagstexte freiwillig ins Web gestellt. Zu Hauf. Und kostenlos. Ihr nehmt keinen Eintritt für die Besichtigung eurer Hyperlink-freien Wörterwüsten, weil ihr genau wisst, dass niemand dafür Geld ausgeben würde. Ihr habt seriöse und un- seriöse SEO-Fritzen mit Geld beworfen, damit Google eure Seiten besonders lieb hat. Ihr seid ohne Einladung auf diese Party gekommen. Das ist okay, ihr könnt gerne ein wenig mitfeiern. Prost! Aber wisst ihr, was gar nicht geht? Dass ihr jetzt von den anderen Gästen hier Geld kassieren wollt. Sogar per Gesetz. Verleger: geht’s noch?

Bitte unterbrecht mich, falls ich etwas falsch verstanden habe mit diesem “Leistungsschutzrecht“, was gut sein kann, denn logisch ist das alles bestimmt nicht. Ihr wollt eine Art Steuer kassieren für all die Arbeit, die es bereitet, Texte online zu publizieren. Das ist die Leistung, die geschützt und bezahlt werden soll. Nicht etwa die Texte selbst sind es, für die ihr honoriert werden wollt, sondern das Zusammentragen und online stellen. Richtig? Wo und wie dieses Geld eingesammelt werden soll, ist zwar noch nicht ganz klar, aber immerhin habt ihr da schon ein paar Ideen. Vielleicht aber könnte man dazu auch Wahnvorstellung sagen. Einer dieser Einfälle, der ein wenig nach Megalomanie, Irrwitz und gekränktem Narzissmus schmeckt, lautet: News-Aggregatoren sollen zahlen. Also Angebote wie Google News. Dafür, dass sie diese Textschnipselchen anzeigen, die als Hyperlinks dienen, die zu euren Verlagsangeboten führen. Google spült euch die Hälfte eurer Besucher auf die Seiten und jetzt sollen sie dafür bezahlen? Das ist in etwa so, als würde ein Restaurantbesitzer Geld von den Taxifahrern verlangen, die ihnen Gäste bringen.

Dann ist da noch die Idee, gewerbliche Computernutzer zur Kasse zu bitten. Pauschal und auf Verdacht. Denn sie könnten ja irgendwie davon profitieren, dass ihr umgeklöppelte Agenturmeldungen, Oktoberfest-Bilderklickstrecken und überlaufende Inhalte eures Print-Redaktionssystems ins Web pumpt. Eine Verleger-GEZ wollt Ihr euch zusammenlobbyieren. Einerseits. Auf der anderen Seite droht ihr mit rituellem Selbstmord, wenn die gebührenfinanzierte Tagesschau eine iPhone-App bereitstellt. Wie geht das zusammen? Die Öffentlich-Rechtlichen sind aufgrund ihrer Gebührenfinanzierung eure erklärten Todfeinde, andererseits wollt ihr euch in gebührenfinanzierte Verleger verwandeln? Ja habt Ihr denn überhaupt keinen Stolz?

Die Gewerkschaften habt ihr schon auf eurer Seite. Das ist kein Wunder. Gewerkschaften sind in etwa so fortschrittsfreudig wie die Taliban. Hätte es sie damals schon gegeben, wären sie sicherlich auch gegen die Einführung des Buchdrucks gewesen, da er schließlich zu Arbeits- platzabbau in den klösterlichen Schreibstuben führt. Und die schwarz-gelbe Regierung hat ein wie auch immer geartetes Leistungsschutzrecht sogar schon in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Das ist ebenfalls kein Wunder, schließlich hat sich die politische Elite mit der alten Medien-Oligarchie prima arrangiert. Man kennt sich und weiß sich zu nehmen.

Der CTRL-Verlust-Blogger Michael Seemann hat den hübschen Begriff “Leistungsschutzgeld“ erfunden. Eigentlich wollt ihr auch ein “Leitungsschutzgeld“: Wer beruflich eine Internet-Leitung hat, soll zahlen, zu eurem Artenschutz. Wisst ihr was, Verleger? Haut doch einfach ab aus dem Web, wenn es euch hier nicht gefällt. Nehmt eure Texte mit und druckt sie auf Papier oder schickt sie meinetwegen per Fax weg. Denn: Euch hat niemand gerufen.

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Crosspost mit freundlicher Genehmigung des „Magazins für elektronische Lebensaspekte“, De:bug, Ausgabe 148, Creative Commons: CC-BY

Update: Martin Oetting bietet an, Geld für eine Printanzeige in der FAZ zu sammeln, damit der Brief die Verleger, die vermutlich nicht online sind, diese auch wirklich erreicht.
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