15. Dezember 2010

LeWeb 2010: Citius, altius, fortius – et difficilior

LeWeb hat den eigenen Anspruch, die Nummer Eins unter den europäischen Internet Events zu sein, eindrucksvoll unterstrichen. Dass groß aber nicht zwangsläufig auch großartig bedeuten muss, wurde in zwei Tagen Paris allerdings ebenfalls deutlich.

Es gibt Veranstaltungen, die vergisst man so schnell nicht. LeWeb 2010, die zweifelsohne größte „Internet-Show“ Europas gehört dazu. Allerdings gibt es jenseits der reinen Größe eine Vielzahl von Faktoren, warum das so ist. Es begann schon mit der Hinreise. Mit einer guten Stunde Wartezeit auf dem Rollfeld in Düsseldorf war ich – freilich ohne es zu wissen – vergleichsweise gut dran. Schneefälle in Deutschland und Frankreich gestalteten schon die Anreise nach Paris für einige Teilnehmer zur echten Herausforderung um. Und so blieben dann auch einige Teilnehmer und sogar einige, wenngleich ganz wenige Sprecher der Veranstaltung ganz fern. Dass das nicht weiter ins Gewicht fiel, lag vor allem an der mittlerweile erschlagenden Größe von LeWeb. Rund 3.000 Teilnehmer sprechen für sich, verleihen der Konferenz jedoch etwas Messeartiges, was dem Charakter der Veranstaltung nach meinem Empfinden nicht gut tut.


LeWeb 2010: Think big (not different)! (Photo by @Kmeron for LeWeb10 Conference @ Les Docks -Paris-)

Spontaneität will gut geplant sein

Größe allein ist nicht alles. Natürlich ist es beeindruckend mit derart vielen, vermeintlich gleich gesinnten aus ganz Europa im Plenum zu sitzen. Die gezielte Kontaktaufnahme gestaltet sich in dieser Größenordnung jedoch relativ schwierig. Das „Matchmaking“-Tool, das von Veranstalterseite zur Verfügung gestellt wurde, konnte daran vor Ort nichts mehr ändern. Und so war man gut beraten, schon im Vorfeld gezielt Teilnehmer anzusprechen – so wie man es eben von Messeveranstaltungen, nicht aber von Konferenzen kennt. In diesem Sinne ist also das olympische Motto „Schneller, höher, stärker“ (sitius, altius, fortius) um ein „und schwieriger“ (et difficilior) zu ergänzen.

Im Westen nichts Neues

Dass sich das Wachstum nicht zwangsläufig auch positiv auf die Inhalte auswirken würde, war nicht unbedingt vorhersehbar, stand aber zu befürchten. Und so rauschte der erste Kongressteil, der sich mit verschiedenen Plattformbetreibern befasste, ohne große Aufregung vorbei. War man aus den vergangenen Jahren gewohnt, dass sich einige Anbieter „Bonbons“ für die Ankündigung im Rahmen von LeWeb aufgehoben haben, fiel die Bilanz 2010 eher enttäuschend aus. Facebook, Microsoft, Twitter, MySpacekaum einer der Gäste, übrigens samt und sonders aus den USA, konnte mit etwas Aufregendem oder wenigstens Besonderem aufwarten. Selbst Marissa Mayer von Google, die für LeWeb immer noch etwas aus dem Hut zaubern konnte, legte ungewohnte Zurückhaltung an den Tag. Daran konnte auch der gewohnt nörgelige, ja fast schon larmoyante, Moderationsstil von Michael Arrington (Techcrunch) nichts ändern. Im Gegenteil: Meiner Meinung nach scheint er sich langsam abzunutzen. Wirkliche Spannung wollte jedenfalls nicht aufkommen.

Finally: Ignition, Lift-Off

Die Rettung nahte am Nachmittag in Person von Dennis Crowley (Foursquare). Nach der „Ignite-Phase„, für die sich „normale“ Teilnehmer um einen Speakerslot bewerben konnten, blitzte nun ein weiteres Mal das alte „LeWeb“-Gefühl auf. Mit der Einbindung des Publikums, die endlich auch mal Fragen stellen durften, verließ die Veranstaltung den zuvor eingeschlagenen Pfad, der mehr an eine TV-Show erinnerte denn an eine Internetkonferenz. Bis dahin war alles zu glatt, zu minutiös durchgeplant, zu regielastig und mit viel zu wenig Freiräumen versehen. So verwies Loic LeMeur das eine um das andere Mal Fragesteller aus dem Auditorium in die Schranken. Es bedurfte schon einer dem aufkommenden Schneechaos geschuldeten Sprecherabsage, um hieran etwas zu ändern. Crowley durfte daher gleich zwei mal ran. Mit anderen Worten: Geplant war das so offenbar nicht. Vielleicht hat Loic LeMeur im Verlauf des ersten Kongresstages aber selbst gemerkt, dass etwas gefehlt hat und hat deshalb seine Lean-Back-Moderation irgendwann aufgegeben und das Podium geöffnet. Paradox: Während draußen der Schnee Paris in seinen Würgegriff nahm, tauten drinnen die Bühnenprotagonisten langsam auf.

Liaison dangereuse: LeWeb und Dezember

Was bleibt? Zu wenig. Die Erinnerung an die Inhalte wird schnell verblassen. Was bleibt sind vor allem die Erinnerungen an die widrigen Wetterverhältnisse und die erschlagende Größe der Veranstaltung. Dass sich die Abreise an einem restlos überfüllten Flughafen, an dem immer noch einige gestrandete Fluggäste auf Ersatzflüge für gestrichene Verbindungen des Vortages warteten, entsprechend schwierig gestaltete, versteht sich von selbst. Dass ich hier immer noch Muskelkater in meinen Waden von meinem strammen 45-minütigen Fußmarsch am Vortag verspürte (keine Busse, keine Taxis, eisbedeckte Straßen und Bürgersteige), rundet das Bild ab. Es bleibt daher vor allem die Frage, ob der Termin Anfang Dezember auf Dauer clever ist – zumindest solange der Pariser Straßenverkehr auch um diese Jahreszeit von Sommerrreifen geprägt ist. Ich vermute für das Wort „Streusalz“ gibt es im Französischen nicht einmal einen adäquaten Begriff. Wenn doch, so freue ich mich über einschlägige Hinweise in den Kommentaren.


Loic Le Meur als „Angry Bird“ (CC by Pierre Tran)

Zufriedene Teilnehmer machen die Sponsoren froh – nicht andersrum

Ebenso bleibt die Frage, ab welchem Punkt der Teilnehmerzuspruch eine Konferenzveranstaltung mit seinen originären Funktionen unmöglich macht. Hier wird LeWeb einen Weg finden müssen, der den Ansprüchen der Teilnehmer auch gerecht wird – und weniger den Sponsoren, für die die Reichweite der Veranstaltung auf den ersten Blick attraktiv zu sein scheint. Dass mit Reichweitenzuwächsen nicht selten ein Verlust an Relevanz (nicht zu verwechseln mit Aufmerksamkeit!) und Agilität einhergeht, ist ein Umstand, der nicht nur auf die Konferenzlandschaft, sondern durchaus auch auf das Web zutrifft.

Posted via email from christophsalzig’s posterous

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