3. Januar 2017

Web Summit 2016 – Masse schlägt Klasse

Kurzfristigen Projekten geschuldet erscheint der folgende Beitrag leider um einiges später als ursprünglich geplant. Dennoch hat er weder an Aktualität noch Aussagekraft verloren.

Dublin to LisbonMit mehr als 50.000 Teilnehmern (das behaupten jedenfalls die Veranstalter) ist der Web Summit eine wirklich große Show. Eine derart große Veranstaltung mal eben von einer (Dublin) in die nächste (Lissabon) europäische Hauptstadt umzuziehen, ist ein gewaltiger Akt. Doch vor großen Herausforderungen hat Paddy Cosgrave, Initiator und Kopf der nach eigenem Bekunden und auch augenscheinlich größten Technologiekonferenz in Europa, noch nie zurückgeschreckt. Nach einem immensen Wachstum sah er im letzten Jahr den Zeitpunkt für eine Standortverlagerung des Web Summits gekommen. Über die Gründe wurde vielerorts spekuliert, den Ausschlag dürften letztlich finanzielle Zusagen gegeben haben. Nun also Lissabon. Die Stadt des Lichts. Doch wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. Wen wundert es also, dass der Web Summit hier keine Ausnahme macht.

Lissabon und Dublin – (k)ein Vergleich

Dublin: Mit wenig Aufwand Atmosphäre schaf(f)en

Da wäre zunächst mal der Charme, den die zurückgelassene Venue in Dublin mit ihren verteilten, aber atmosphärisch dichten Veranstaltungsorten für die einzelnen thematischen Summits und den zugeordneten Startups versprüht hat. Das ehemalige Expo-Gelände in Lissabon, obwohl direkt am Wasser gelegen, kann da nicht mithalten. Das Ganze wirkte dann doch mehr wie eine dmexco aus dem Jahr 2013, inklusive der dort seit Jahren gewohnten Schlangen beim Einlass zum Gelände und zur Hauptbühne, vor den Damentoiletten und zu den Essensständen am Mittag.

Es bleibt eine Messehalle trotz Lissaboner Wahrzeichen

Lissabon: Messehalle bleibt Messehalle trotz Wahrzeichen

Die Lissaboner Schlangen wären jedoch nicht so lang gewesen, wenn die Veranstaltung nicht ganz offensichtlich für viele Menschen reizvoll ist, die sich aus unterschiedlichen Gründen für Technologie interessieren. Und das liegt vor allem an den Startups. Bei genauerer Betrachtung insbesondere der Startups im frühen Alpha-Stadium wurde man jedoch den Eindruck nicht los, dass diese einigermaßen wahllos auf der Veranstaltung gelandet waren. Auf einer ganz klar „Web“-titulierten Veranstaltung hatten einige schlicht nichts verloren. Was nicht nur die Frage erlaubt, warum sie das trotzdem versucht haben, sondern vor allem, wer das bei den Auswahlverfahren, die doch laut Veranstalter so wichtig sind, durchgewunken hat.

Auswahl oder Ausfall – die Verfahrensfrage

Die Vermutung, dass nicht nur bei der Auswahl, sondern auch beim Zuordnen von Startups und Investoren studentische Hilfskräfte im Spiel gewesen sein könnten, legt die eine oder andere Einschätzung durch die betroffenen Startups fast schon nahe. Denn auch hier wurde nicht selten an den Interessen beider Seiten vorbei gewirkt. Das soll nicht heißen, dass sich die Macher des Web Summits nicht darum bemühen würden, das richtige Matchmaking hinzubekommen. Angesichts der schieren Masse an Anfragen, dürften sie schlicht überfordert gewesen sein. Dies gilt übrigens gleichermaßen für Startups, Teilnehmer und Investoren, die sich nicht ordentlich auf den Rummel in Lissabon vorbereitet haben. Wer sich vor Ort erst orientieren will, ist schlicht verloren. Hierzu hatte ich bereits im letzten Jahr etwas geschrieben. Es geht nur mit einer vernünftigen Vorbereitung!

„Mailbomb, Mailbomb…!“ – ansprechend ist anders

Die letzten drei Wochen bis zum Event: Mail Stakkato!

Dem Vernehmen nach führt das Mailbombing der Veranstalter vor allem bei den Startups dazu, dass auf nahezu jedes Angebot zur Präsentation, zum Pitch, Round Table-Gespräch, Pubcrawl oder was auch immer reagiert wird. Völlig unabhängig davon, wie sinnvoll es tatsächlich ist. Die Chance, überhaupt irgendwo mit dabei zu sein, ist relativ gering, da es sich eingespielt hat, dass eben sehr viele reagieren. Entsprechend knapp ist die Zeit, darauf zu reagieren. Mir selbst sind Startups bekannt, die zu bestimmten Zeiten mit allen verfügbaren Personen vor dem Rechner sitzen und versuchen rechtzeitig Formulare mit ihrer Bewerbung auf den Weg zu bringen. Im Ergebnis ist das weder zielführend noch wirklich befriedigend. Und so sind die meisten dann eben doch auf Eigeninitiative angewiesen.

Diese ergibt sich weniger durch das wahllose Ansprechen von Konferenzbesuchern – mit dem farblich grün gekennzeichneten Media-Badge ist man hier übrigens ganz klar im Nachteil. Vielmehr hilft mitunter die gezielte Suche nach Namen und Schlagworten in der wirklich guten Web Summit App. Hier besteht grundsätzlich die Chance zur Kontaktaufnahme, sofern der oder die Angeschriebene auch tatsächlich vor Ort ist. Denn auch hier geht es vor allem um Masse statt Klasse.

bildschirmfoto-2017-01-02-um-19-34-43Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige meiner kontaktierten Personen überhaupt nicht dort gewesen sind. Ob das daran lag, dass sie dieses Jahr kurzfristig gepasst haben und/oder ihr sehr früh gebuchtes und dementsprechend eher günstiges Ticket verfallen ließen, oder ob schlicht auch Teilnehmer aus den letzten Jahren übernommen wurden, lässt sich nicht wirklich klären. Fun fact: Einige Namen tauchten hingegen doppelt auf. In wenigen Fällen durchaus erklärbar, weil etwa Teilnehmer im Laufe der letzten Monate zu Startups mutierten, überwiegend allerdings nicht. Oder wie kann es sein, dass einige Namen als akkreditierte Medienvertreter, als normaler Teilnehmer oder wahlweise als Sprecher in der Datenbank der App zu finden sind? Eine Konferenz, die derart überbetont, dass sie im Unterschied zu allen anderen Events nicht von Eventplanern und -managern, sondern von datenverliebten Nerds umgesetzt wurde, muss hier besser sein.

Blick zurück nach vorn – es gibt Hoffnung

Die imposante Kulisse in der MEO Arena

Die imposante Kulisse in der MEO Arena

Und dennoch: Es gibt genügend Anlass, auf das Erreichte durchaus stolz zu sein. Der Web Summit hat sich in sehr kurzer Zeit zum zentralen europäischen Treffpunkt der Szene entwickelt und lockt inzwischen in erheblichem Maße Startups, Investoren, Medienvertreter und Teilnehmer aus aller Welt. Warum das in der deutschen Medienlandschaft bisher kaum Niederschlag findet, bleibt mir vorerst ein Rätsel. Die Vorzeichen – Brexit und die Verunsicherung des Silicon Valleys nach Donald Trumps Wahlsieg – stehen zumindest aus Sicht der Web Summit-Verantwortlichen für die Veranstaltungen der nächsten Jahren nicht so schlecht. Um das Versprechen „the greatest tech event in the world“ einzulösen – so gegeben auf bei einem Promotion-Event in Hamburg auf die Frage, was der Web Summit denn nun eigentlich genau sei –, ist allerdings ein deutlicher Qualitätssprung notwendig.

Das Ziel: Gute Gespräche mit passenden Kontakten!

Das Ziel: Gute Gespräche mit passenden Kontakten.

Hier kann sich der Web Summit durchaus von anderen Events inspirieren lassen. So schafft es etwa die Next Web Momentum in New York, sehr gezielt Startups und Investoren zusammenzubringen. Dies vor allem, weil man den Startups genügend Zeit und Möglichkeiten bietet, sich über die Investoren zu informieren und eine entsprechend sinnvolle Vorauswahl zu treffen. Auch beim Web Summit bilden die Startups mit ihren Ideen das Herzstück der Veranstaltung. Das Team um Paddy Cosgrave tut gut daran, sich darum stärker zu kümmern. Dazu gehört die nachvollziehbare Auswahl, welches Startups zum Web Summit zugelassen wird, in welchen Bereich es tatsächlich gehört und in welchem Stadium es sich befindet. So ist es für alle anderen Beteiligten leichter, sich zu orientieren. Wenn dann neben den logistischen Kinderkrankheiten auch noch die Matchmaking-Defizite ausgebügelt werden, kann der Web Summit tatsächlich zum „greatest tech event in the world“ werden. Wobei „greatest“ immer eine qualitative und keine quantitative Aussage ist. Aus heutiger Sicht ein Herkulesaufgabe – aber wie gesagt: Vor großen Herausforderungen hat Paddy Cosgrave noch nie zurückgeschreckt.

Wir sehen uns in Lissabon 2017!

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